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Relaxed elegance

Aktualisiert: 30. Juli 2021




Wir haben am 02. Januar unseren geliebten Vater verloren. Er ist offenbar friedlich mit fast 81 Jahren in der Sauna verstorben. Unsere Mutter fand ihn dort mit einem Lächeln im Gesicht, dessen verklärten Ausdruck sie bis dato nicht kannte. Ich erfuhr von seinem Tod am Morgen danach, als ich auf Sylt meine Mailbox abhörte und die Stimme meiner Mutter beängstigend anders klang.

Als ich zurückrief traf mich die Nachricht so tief und so schmerzhaft, dass ich wie ein Tier im Käfig in unserer Westerländer Wohnung umherlief. Ich wollte nur noch heim, zu meiner Familie, die an diesem Tag in Celle im Elternhaus zusammenkam. Ich stöhnte bei jeder kleinen Verrichtung, Brust und Rücken waren schwer wie nie, und mein Kopf dröhnte. Etwas in mir spürte, ahnte, dass Papa vermutlich nicht mehr allzu lange machen würde, doch so bald hatte ich nicht mit seinem Tod gerechnet, wir alle nicht.


Der Tod kommt immer zur Unzeit,

heißt es. Die Hinterbliebenen müssen irgendwie klarkommen, der Verstorbene selbst wird es mit Sicherheit.

Am Vormittag des Todestages unterhielten sich meine Eltern noch darüber – mein Vater eröffnete das Thema – dass derjenige zu beneiden sei, der früher von dieser Erde geht. Ja, dem ist wohl so. Der Tod eines geliebten uns nahestehenden Menschen wühlt und bricht uns auf, holt Gedanken und Gefühle hervor, die uns überrollen und in manchen Momenten schier wahnsinnig machen. Meine Mutter haderte und fluchte tagelang. Mich beeindruckt ihre Stärke, ihre Echtheit, die sich in diesen Tagen zeigt. Sie hält sich wacker und geht ihren Weg, indem sie beispielsweise mit vielen Menschen spricht und auch wieder zum Singen in die Kirche fährt.

Was wir dieser Tage oft zu hören bekommen: „Welch‘ ein schöner Tod!“ Das denke ich auch: keine Schmerzen im Vorfeld, mit sich und seinen Engsten im Reinen, bei einer geliebten Tätigkeit wie hier dem Saunieren.

Meines Erachtens wurmte es meinen Vater in letzter Zeit mehr als er zugab, dass sein Kopf nicht mehr so funktionierte wie bisher. In Gesprächsrunden, in denen er durch ein verschmitztes Lächeln, ironische Bemerkungen oder besondere, hartnäckige Fragen auffiel, hielt er sich in jüngster Zeit oft bis zur totalen Sprachlosigkeit zurück. Von der von Reich Ranickis beschriebener „Altersweisheit“ wollte er nichts hören: Ich erlebte meinen Vater als für ihn völlig untypisch aufgebracht, als wir darüber sprachen. Nein, Altwerden sei schlicht scheiße, so Papa.

Meine enge Freundin A. erinnerte sich kürzlich, dass er bereits vor vielen Jahren mit Unmut über das Altern sprach. So gesehen hat er einen feinen Abgang hingelegt. Und: Es passt zu ihm, sich so zu verabschieden, ohne großes Gedöns. Auf unserer Hochzeits-Gartenparty vor eineinhalb Jahren trug Papa ein Sisley-Shirt mit der kleinen feinen Aufschrift „Relaxed elegance“. Eine weitere enge Freundin musste lachen – und wir lachen heute noch darüber. Das ist Papa: Neben manch derben Bemerkungen und seiner Vorliebe für Themen, die es für gewöhnlich nicht zu teilen gilt (Kenner wissen wovon ich spreche), machten ihn eine gewisse Lässigkeit, ein feiner origineller Humor, ja einfach eine Lebens-Gelassenheit aus, die nur wenige Menschen so verkörpern.

Papas Tod stellt uns auch viele Fragen: Hätte er verhindert oder hinausgezögert werden können? Wäre es nicht angebracht gewesen, sich noch regelmäßiger in einer Uniklinik durchchecken zu lassen? Doch die Fragen sind auch: Wozu, für wen, und: Wird es dann besser? Nein, zu ihm passte sein Tod, alles ist gut wie’s ist, auch wenn es schmerzt und wir ihn arg vermissen.

Interessant ist auch, wie viele Geschichten in diesen Tagen zusammenkommen: Seien es Anekdoten über meinen Vater, die teilweise zum Schreien komisch sind, seien es eigene Erkenntnisse zum Thema Tod oder auch Vorstellungsgrenzen überschreitende Nahtod-Erfahrungen.


Ich finde, es lohnt sich, den „Tod ins Leben zu holen“: Dinge anzugehen, Gespräche, die noch geführt werden wollen, zu führen, so wenig wie möglich aufzuschieben.

Meine Schwester zum Beispiel besuchte dieser Tage ihre im wahrsten Sinne des Wortes alte Geigenlehrerin, u. a. um Geschichten von früher zu hören und zu teilen.

Ich freue mich für Papa, und ich bin auch froh darüber, dass er in letzter Zeit noch guter Dinge war, selbst wenn er insgesamt die vergangenen neun Monate abgebaut hat. Ich finde es so schön, dass er mit meiner Schwägerin kurz vor seinem Tod bei unserer Familie in der Türkei war und dort noch einmal aufblühte. So sollte es sein.

Es fühlt sich neben aller Trauer und allen Tränen gut an, dass wir beide, Papa und ich, eine liebevolle Verbindung hatten und haben. Ich habe, selbst wenn ich in der letzten Vergangenheit nicht mehr so frequentiert in Celle war wie in den Jahren zuvor, ganz schöne, noch sehr klare Erinnerungen an unsere letzten Aktionen, beispielsweise die Pilzwanderung Anfang Oktober.

Meine letzte Begegnung mit ihm war mein Kuss auf seine Wange am 1. Weihnachtsfeiertag und seine Worte: „Haust du schon ab?“ Na, Papa, die Frage gebe ich jetzt gern an dich zurück!

Horsti, Johnny, du fehlst uns!



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